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Ganz Schön Familie im Gespräch mit

Matthias Horx

Zukunfts- und Trendforscher – Zukunftsoptimist – Provokateur – Visionär

„Die Zukunft nach Corona“

Niemand kennt die Zukunft – und doch kann ich mein Bild davon positiv beeinflussen. Wie konstruieren wir unser Bild der Zukunft? Was brauchen wir, um es zu verwandeln und was vermitteln wir unseren Kindern für einen bejahenden Blick in die Zukunft? Im Gespräch mit Zukunftsforscher Matthias Horx kreisen wir um die Bereitschaft zur Veränderung, zum Perspektivenwechsel, zur Re-Gnose und um den Wert von Liebe und Familie.

Gast: Trend- und Zukunftsforscher Matthias Horx

Bereits in den 60er Jahren interessierte sich der technikbegeisterte Matthias Horx für die Geheimnisse der Zukunft. Als Publizist und Journalist entwickelte er sich zum einflussreichsten Trend- und Zukunftsforscher des deutschsprachigen Raums. Er gründete Deutschlands wichtigsten futuristischen Think-Tank, das Zukunftsinstitut mit Hauptsitz in Frankfurt und Wien.

Er steht für eine Futurologie, die nicht jeder Angst oder jedem Technik-Hype hinterherrennt, sondern den Bewusstseinswandel mit einbezieht. „Zukunft entsteht, wenn wir die Welt aus der Perspektive des Morgen betrachten – und unser Geist die Verbindungen zwischen Gegenwart und Zukunft verspürt!“

„Horxs Vortragskunst wendet sich an ein anspruchsvolles Publikum, das bereit ist, über den eigenen Tellerrand hinauszublicken. In seinen Vorträgen, die gleichermaßen zum Schmunzeln wie Nachdenken anregen, beleuchtet er die Wechselwirkung von sozialen, technolgischen, ökonomischen und politischen Trends.“ (zukunftsinstitut.de)

„Seit 20 Jahren übt er sich in der Kunst des Keynote-Vortrags in Management- oder Politik-Kreisen und auf großen Konferenzen. Seine Vorträge sind provokativ, humorvoll und aufmunternd, sie handeln immer von den großen Zusammenhängen: Technologie, Humanismus, Zukunftsoptimismus, (Neo-)Digitalisierung und (Neo-)Ökologie. In seinen Vorträgen (deutsch und englisch) geht es immer auch darum, wie wir über die Zukunft denken und fühlen – und wie konstruktive Visionen Gesellschaft und Wirtschaft verändern können.“ (www.horx.com)

Matthias Horx beschäftigt sich mit den wichtigen Themen der Zukunft:

  • Die Zukunft nach Corona
  • Anleitung zum Zukunftsoptimismus
  • Global 2050
  • Die Macht der Megatrends
  • Big Business Change – Technolution
  • Der neue Trend Achtsamkeit
  • Zukunft Stadt – Future Living – Future Work

Artikel „Die Welt nach Corona“

Die Corona-Rückwärts-Prognose: Wie wir uns wundern werden, wenn die Krise „vorbei” ist

https://www.horx.com/48-die-welt-nach-corona/

Copyright
Matthias Horx, Trend- und Zukunftsforscher (www.horx.com), Foto: Klaus Vyhnalek (www.vyhnalek.com)

Transkript #13

Ganz schön Familie – der Psychologie Podcast mit Dr. Dagmar Berwanger. 

Was bringt die Zukunft? Wie sieht die Welt nach Corona aus? Deine Einladung zum Perspektivenwechsel. Heute im Gespräch mit Zukunftsforscher Matthias Horx. Ich bin Carolin Nyhuis – herzlich willkommen.

Carolin: [00:00:22]

Dagmar, nun ist die Zukunft auf der einen Seite etwas sehr praktisches, wenn man solche Themen wie Mobilität und technischen Fortschritt nimmt, aber auf der gedanklichen Ebene oder auch auf der emotionalen Ebene ist Zukunft umso schwerer greifbar und für jeden etwas sehr unterschiedlich attraktives, würde ich mal sagen. Wenn ich z.B. meine 15-jährige Tochter Frage, wie sie sich ihre Zukunft vorstellt, dann fängt die sofort an, genüsslich und sehnsüchtig von ihrer ersten eigenen Wohnung zu schwärmen, die sie irgendwann mal beziehen wird. Wenn ich meinen 10-jährigen Sohn dagegen frage, dann möchte der vor allem, das alles genauso bleibt, wie es jetzt ist. Und auch bei Erwachsenen kommen ja die unterschiedlichsten Antworten raus. Der eine träumt, hat große Visionen, der andere hat Zukunftsängste sogar, wir haben also alle unterschiedliche Bilder von Zukunft, sicher jetzt auch geprägt durch Corona, oder?

Dagmar: [00:01:17] 

Ja, mit Sicherheit ändert das einiges bei vielen Menschen. Also, es gibt ja diesen ein bisschen abgelutschten Spruch: „Die Zukunft ist auch nicht mehr das, was sie mal war.“ Das mag zurzeit tatsächlich zutreffen. Ja, was ist Zukunft? Zukunft ist letztlich, wie du ja schon sagtest, gedanklich Bilder im Kopf und eigentlich ist es eine geistige Vorwegnahme, Erwartungen die man hat und die sich meist daraus speisen, was man aktuell erlebt oder, fast noch spannender, was man erlebt hat. Also, wir alle erzählen ja unentwegt Geschichten, Geschichten über uns selbst. Erzählungen über unsere Familie, über unsere Kinder, wer wir sind, was wir erlebt haben, was wir können, und all das ergibt ein Bild von uns, gibt ein Bild über unsere Kindheit, über unsere Kinder und dabei bedienen wir uns einer Technik, die man in der Psychologie kognitive Dissonanz nennt. Der Einfachheit halber kommen in unsere geistigen Schubladen meist nur solche Erinnerungen und Bewertungen, die in sich Sinn geben. Also Widersprüche finden oft gar nicht so den Weg in unser Bewusstsein. Und das wiederum beeinflusst natürlich ganz stark, wie ich Zukunft konzipiere, welches Bild ich davon habe, was möglicherweise passieren kann. Wir glauben, dass wir uns permanent verändern, aber eigentlich verändern sich die meisten, um letztlich gleich zu bleiben. Und manchmal braucht es Druck von außen, und das haben wir jetzt ja in fast allen Folgen auch von unterschiedlichen Perspektiven aus erlebt, aus dieser Höhle kommt man meist raus, wenn’s a bissl hakt und man dann mal vielleicht sowas wie eine Krise hat. Und das macht einem nämlich eigentlich noch mal so ein bisschen deutlich, dass alles was wir glauben über die Welt zu wissen, von uns auch konstruiert ist. Das ist ja Teil der Entwicklung und der Entwicklungspsychologie. Schön sieht man das in „Alice im Wunderland“ z.B., das mag ich ganz besonders gern, weil da solche Modelle immer wieder in Frage gestellt werden. Das ist eine Einladung zu einem Perspektivenwechsel und sich zu überlegen, will ich die Geschichte, wie ich sie bislang erzählt habe, will ich die weitererzählen und was ist jetzt möglich, welche Geschichte zukünftig erzählt werden kann. 

Und da haben wir heute den besten Experten überhaupt hier zu Besuch und ich freue mich sehr, dass Herr Matthias Horx heute Zeit hat, mit uns darüber zu plaudern. Und letztlich, Herr Horx, muss ich Ihnen verraten, sind Sie auch ein bisschen mit Schuld dran, dass wir diesen Podcast machen. Wir haben damals, ich glaube das war im März, 16.03. habe ich mir aufgeschrieben, ihren Artikel „Die Welt nach Corona“ gelesen. Und ich muss sagen, es hat bei uns allen so innerlich ‚dong‘ gemacht und „Wahnsinn, da sieht das alles jemand von einer ganzen anderen Perspektive und lädt uns ein, hier die Zukunft im Rückspiegel sich anzuschauen.“ Also mit Ihrer Technik der Re-Gnose. Und wir freuen uns sehr, mit Ihnen heute zu plaudern. Vielleicht können Sie uns und unseren Zuhörerinnen und Zuhörern auch mal aus erster Hand erklären, wie geht denn das mit der Re-Gnose und wie kann man das für sich nutzen? Hallo, Herr Horx.

Carolin [00:04:22] Herzlich willkommen. 

Matthias Horx: [00:04:27]  

Hallo, ich grüße Sie. Ja, Sie haben ja die Einleitung eigentlich schon genau in diese Richtung gemacht. Das ist eigentlich Teil einer Disziplin, die wir in der ganzheitlichen Diagnostik, wie wir es nennen, auch versuchen zu üben und zu verstehen, also die kognitiven, wir nennen das auch die kognitive Futuristik, also wie wirken Bilder der Zukunft auf uns zurück? Wie beeinflusst es das Zukunftswesen Mensch. Wir sind ja von der Evolution her geprägte Menschen, die sich immer das andere vorstellen wollen oder können oder auch müssen. Wir können gar nicht ohne Zukunft leben. Ob das jetzt im kleinen Maßstab ist, wir denken immer drüber nach, wie wird es morgen? Was koche ich? Wo fahre ich in Urlaub? Oder wohin kann ich dieses Jahr nicht in Urlaub fahren… Also der Mensch ist dauernd damit beschäftigt, die Vergangenheit mit der Zukunft abzugleichen und sich daraus, wie Sie richtig sagen, eine Konstruktion seines Selbst zu machen. Und das gilt nicht nur fürs Individuum, das gilt natürlich auch für die Familie, für die Gesellschaft, Menschen stellen sich Deutschland vor und in der Zukunft Deutschland und die einen finden es dann von Ausländern überlaufen und die anderen haben gar keine Fantasie mehr, weil Deutschland untergeht. Also es ist ein großes Tohuwabohu und das versuchen wir halt ein bisschen zu glätten, indem wir verschiedene mentale Techniken vorschlagen. Und eine davon ist eben, mal abzusehen von dieser klassischen Technik, die wir alle den ganzen Tag machen, nämlich Prognosen. Prognosen sind ja immer so, dass Sie mit Ihrem momentanen Wissen in die Zukunft schauen und da verstehen Sie oft nur Bahnhof. Weil da haben Sie keinen Zugang zu Ihren instinktiven und zu Ihren tieferen Gefühlen, das ist dann auch oft der Einfluss von Medien, die uns von früh bis abends mit Schrecklichkeiten versorgen. Und Mitte März war eben so eine Situation, wo alle Menschen in die Panik, in die Paranoia hineinschlitterten und dann habe ich einfach mal versucht, das so umzudrehen. In einem Experiment hab ich gesagt, dass wir in einem halben Jahr in einem Straßencafé sitzen in Deutschland und schauen auf uns selbst zurück. Wie haben wir uns verändert in dieser Krise? Was könnte sein? Könnte es sein, dass wir uns vielleicht auch gewundert haben und in diesem Begriff des Wunderns liegt ja auch was sehr Schönes, was Magisches, aber das meint natürlich genau das, was Sie vorhin angesprochen haben: Wenn unsere Erwartungen enttäuscht werden, also Ent-täuschung wenn sie da einen Bindestrich rein bauen, dann hat das ja auch unter Umständen eine befreiende Wirkung, aber wir natürlich dauernd irgendwelchen Konstrukten hinterherlaufen – Erwartungen – es muss so und so sein und wenn es dann nicht so und so wird, dann werden wir alle ganz panisch. Das zerstört z.B. Familien am allermeisten. 

Es ist im Grunde genommen immer die enttäuschte Erwartung. Und wenn wir uns aber enttäuschen lassen, dann kann manchmal auch etwas ganz Fantastisches dabei rauskommen. Wir werden nämlich auch verstehen, dass nicht das, was wir immer befürchten eintritt. Und dass wir das Befürchtete auch selbst erzeugen. Das ist ja dieses Wunderbare, diese Schleife der Zukunft. Und eine Re-Gnose ist eben dazu da, dass man mal mit einem anderen Blickwinkel auf die Wirklichkeit schauen kann und vielleicht Wirk-lich-keit auch dadurch anders verstehen. Wirklichkeit ist ja die Realität, in der wir wirken können. Und wenn wir das können, dann verschwindet die Angst. So kann man das glaube ich in einer großen Schleife betrachten. Und mein Text hat irgendwie Erstaunliches, das hat mich auch ent-täuscht und meine inneren Frustration, dass niemand mir zuhört, irgendwie sechs Millionen Klicks erzeugt. Ich habe einen richtigen „Sweetstorm“ erlebt, das ist das Gegenteil vom Hass-Sturm. Es gab zwei Hass-Mails, die waren aber so unverständlich, dass sie sowieso nicht galten. Das erwartet man ja auch nicht, also als Publizist erwartet man ja eigentlich immer nur, dass man unentwegt auf die Nase gehauen kriegt von all den Trolls im Internet. Und das ist schön, wenn man einfach erlebt, dass das Leben einen auch nicht nur ins Negative enttäuschen kann, sondern auch andersherum. Wenn man den Sinn dafür verliert, verliert man seine Zukunft.  Also ich glaube, das es eine innere und eine äussere Zukunft gibt und wir die äußere aber auch nur verstehen wenn wir unsere innere verstehen und das ist eigentlich mein Lebensprojekt. Ich versuche, das den Menschen in so einer Schwingung nahezubringen, ich kann’s ihnen gar nicht beibringen, es geht nur, wenn man da selber ein Gefühl für hat.

Dagmar [00:09:02]

Und vielleicht auch ein Gefühl dafür bekommt. Und ich glaube, vielleicht haben Sie deshalb so eine hohe Resonanz, dass ich paradoxerweise trotz so einer vermeintlichen Krise plötzlich gefühlt mehr Möglichkeiten hab. 

Matthias Horx [00:09:12] 

Das Paradoxe der Krise, sie engt ja immer Möglichkeiten ein und dadurch eröffnet sie neue Möglichkeitsräume, weil wir uns auf etwas konzentrieren können. Das muss man sicher immer dazu sagen, das konnten nicht alle in der Krise.  Es gab auch viele Menschen, für die hat es die Welt weiter verengt. Aber es ist halt brutal, solche Krisen decken auf, was ist, nicht? Also wenn Sie mit einem Partner in einem Lockdown plötzlich zusammen in einer Wohnung hängen und vorher konnten Sie immer wegrennen und raus in die Kneipe gehen oder wegfahren oder so, das hat einigermaßen die Partnerschaft aufrechterhalten. Dann ist es die Stunde der Wahrheit, nicht? 

Carolin [00:09:50] 

Es hat ja eine sehr umfassende Entschleunigung stattgefunden, also äußerlich natürlich durch den Lockdown, aber auch bei vielen innerlich, das haben Sie im Text auch so beschrieben. Bleibt das denn so, oder anders gefragt, hat die Zeit der Krise bis jetzt ausgereicht, um einen nachhaltigen Perspektivwechsel zu bewirken?

Matthias Horx [00:10:06] 

Also denken Sie mal an die richtig großen Katastrophen und Krisen, der zweite Weltkrieg, das hat unsere Eltern und Großeltern traumatisiert, aber natürlich auch verändert. Es hat auch die Gesellschaft verändert. Also solche großen Impacts, solche tiefen Krisen, wie wir sie jetzt haben, die hinterlassen natürlich eine große Resonanz. Ist interessant, dass alle diese Frage stellen. Menschen verändern sich ja nur durch Erfahrung und wenn diese Erfahrungen intensiv waren, dann wird man ein anderer Mensch.

Dagmar [00:10:32] 

Das fokussieren Sie auch immer in Ihren Büchern und nennen das ja, glaube ich, die Mutter aller Zukunftsfragen: was verändert sich über sich selbst hinaus eigentlich? Also, ich denke übersetzt, was an Werten, an Einstellungen ist danach anders und viel spannender, wie reflektiere ich das und bringe es in die Familie?  

Matthias Horx [00:10:54] 

Na ja, also ich bin schon als Soziologe sozio-evolutionär denkender Mensch mein ganzes Leben lang damit beschäftigt, wie verändern sich Wertesysteme? Ich habe ein bisschen auch Familienforschung betrieben, hab auch mehrere Freunde im Bereich von Familienforschung. Wir können ja verfolgen, wie haben sich Familienwerte und Einstellung und Konfiguration über die letzten 30-40 Jahre verändert. Ich war ja selber Teil dieses großen Aufbruchs in die Individualisierungskultur der 70er Jahre, in denen ebenso das enge Kleinfamilien-Modell massiv in Frage gestellt wurde. Ich habe viele Jahre meines Lebens in Wohngemeinschaften gelebt und habe dann natürlich auch als Journalist und als Analytiker versucht zu verfolgen, wie wächst das dann in die Gesellschaft hinein.

Und heute können wir eben von einer Pluralität von Familienformen ausgehen, was es uns auch sehr schwer macht. Das führt dann wieder zu so Verheilungensreaktionen, also manchmal wird die Familie auch in einer Art und Weise wieder so verherrlicht als ein Ziel, das gar nicht mehr so erreichbar ist, weil wir eben auch verunsichert sind, weil es kein Normmodell mehr gibt. Was ist eigentlich Familie? Also ich habe in meinem Bekanntenkreis ganz viele Familienmodelle, ich habe alleinerziehende Freunde, ich habe schwule Paare, ich habe lesbische Paare als Bekannte. Familie ist heute vielfältig geworden, nicht? Und wir haben, glaube ich, im Lockdown alle erfahren, da wurde plötzlich Familie wieder konfigurierbar. Also ich habe hier z.B. in einer Wohngemeinschaft gelebt plötzlich zwei Monate lang mit meinem Schwiegervater und Freundin meines Sohnes, meine Söhne sind 22 und 25, wir waren plötzlich in einer ganz anderen Intensität miteinander. Die Söhne haben angefangen zu kochen, unser Kommunikationsverhalten hat sich verändert, wir sind aufeinander viel mehr eingegangen, weil man es auch musste. Man kann ja nicht dauernd raus. Das waren wieder so Rekombinationen und gleichzeitig hat jeder von uns auch gemerk, oh oh, es ist wirklich sehr eng, wenn man nur einen Partner hat und auf dem man dann so rumgluckt. Also ich finde, Familie inzwischen sind auch meine Freunde. Diese erweiterten Familienbilder, die in den letzten Jahren entstanden sind, wir wissen eben heute, das Elend der kleinen Familie war ja immer auch das Rollenelend zwischen Mann und Frau. Und daraus sind wir ja alle schon mehr oder minder rausgekommen. Heute leiden die Menschen vielleicht darunter, dass sie das noch nicht genügend hinkriegen. Aber es hat sich eben sehr viel in der Familie getan und gleichzeitig hat sich die Familiendefinition für viele irritierend aufgelöst, aber für viele natürlich auch befreiend. Ich finde das toll, dass heute Familie in allen Varianten gelebt werden kann. Und dass wir nicht mehr nur noch diese normativen… In meiner Geschichte und in der Geschichte meiner ganzen Generation waren das ja irgendwie diese depressiven Hausfrauen und die dominanten Männer, das gibt es natürlich immer noch, aber es ist heute schwieriger geworden ein Arschloch zu sein, sag ich mal so.

Dagmar [00:14:08] 

Familie ist vielleicht letztlich so ein bissl wie man Intelligenz definiert. Intelligenz ist, was ein Intelligenztest misst, Familie  ist, was sich selbst als Familie definiert. Ich glaube, möglicherweise ist es deswegen so in den Fokus gerückt, weil man

diese emotionale Untermalung braucht, um Lust am Verwandeln zu haben. Das weiß man auch aus der Entwicklungspsychologie, wenn ich mich nirgends gebunden fühle, nirgends mein emotionales Basecamp habe, dann bin ich auch nicht neugierig auf die Welt. Und vielleicht war das gerade jetzt so eine Keimzelle. Ich will es nicht überbewerten, aber so eine Keimzelle, aus der Veränderungen stärker wachsen können.

Matthias Horx [00:14:46] 

Sie haben natürlich die richtigen Stichworte da schon auf den Tisch gelegt. Dieses Anverwandeln. Also ich habe ein Buch geschrieben „Future love – die Zukunft von Liebe, Sex und Familie.“ Da war meine These eben, dass gelungene Familiarität immer auch in so einer Co-Evolution besteht, das führt auch durch Krisen. Also Familie ohne eine Krise kann ich mir nicht vorstellen, ehrlich gesagt. Die Pubertät z.b. ist eine einzige Krise, sowohl für den Pupertanten, als auch für die Eltern. Geburt ist eine Krise, aufwachsen, dauernd auf die Nase fallen… Krise ist das Menschlichste überhaupt und viele Menschen haben aber eine andere Vorstellung davon, die haben andere Vorstellungen vom Leben, nämlich Fixierung. Und sie wollen, wenn’s irgendwann mal so ist, dass es immer so bleibt und die wollen sich dann nicht mehr bewegen, das gibt’s auch. Und dann frieren entweder Beziehungen ein, dann findet keine Entwicklung mehr statt, dann ist eigentlich das Lebendige an der Liebe – und ich finde, Familie und Beziehung ohne Liebe zu denken schon schwer – dann ist das eigentlich tot, weil dann hat sich ja eben das nicht mehr, diese innere Wachstumsmöglichkeit. Also eine Familie, die lebendig und die liebevoll ist, die bietet uns an quasi den Halt, den wir brauchen, um uns auch wieder hinaus zu bewegen und zurück zu kommen und uns zu verwandeln. und ohne Verwandeln ist das Leben ja gar nicht bemerkbar, oder? Also, da sind wir schon ziemlich tot.

Dagmar [00:16:23] 

Und was hat sich in der Familie Horx verwandelt, wenn man persönlich nachfragen darf?

Matthias Horx [00:16:29] 

Ja vieles, wir haben einfach plötzlich dann genossen. Aber wir waren natürlich auch verängstigt, mein Schwiegervater ist 80 und natürlich auch sich Sorgen gemacht, aber wir konnten diese Ängste gemeinsam bewältigen und das ist, glaube ich, auch der Sinn von Familie, dass man mit Bedrohung umgeht, dass man auch so ein Wir bildet, das ist die Treue, die auch in der Familie ist und die dann aber auch kreativ werden kann und muss. Und das haben wir glaube ich so erlebt, nicht? Und dieser Lockdown war Klasse, ich konnte meinen Garten mal pflegen, dabei konnten mich die anderen beobachten. Das Leben ist ja eigentlich immer eine Beobachtung und beim Beobachten, wenn wir bewusst sind – und durch die Corona-Krise ist ja nichts weggefallen, also es gibt immer noch alles, was es vorher auch gab, aber wir beobachten das anders, auch  vorher gab es Saufhähne in Ischgl, das hat nur keiner bemerkt, heute betrachten wir plötzlich die Saufhähne in Mallorca ganz anders. Wir distanzieren uns. Die Familien sind zusammen gerückt und haben dadurch ihre Umwelt anders beobachtet.

Oder sind auch mit Leid umgegangen, das musste ja auch manchmal sein, also natürlich in Italien mehr als bei uns, aber auch hier in vielfacher Form oder mit Stress. Da fordert uns das Leben heraus, das ist glaube ich der Punkt. Und dann bewähren sich Familien oder sie tuns eben nicht.

Carolin [00:18:08]

Sie haben ja angesprochen, es geht um Verwandlung oder zumindest die Bereitschaft zu einer lebenslangen Veränderung, Selbstveränderung. Wie gehe ich das denn ganz praktisch an? Ich merke, ich befinde mich in einer Krise, ich merke, ich muss vielleicht jetzt diesem Wandel folgen, um da wieder rauszukommen und etwas Positives mitzunehmen, womit beginnt man, um da herauszukommen? 

Matthias Horx [00:18:35] 

Grundsätzlich ist es ja so, wenn eine Liebeskrise oder eine Beziehungskrise auftritt, dann entsteht die immer aus einer Art von Selbst-Fremd-Blindheit, also jemand verkapselt sich in seine Ansprüche und Frustration und er ist nicht mehr bereit sich zu öffnen und macht den Partner zum Schuldigen seines eigenen Elends. Und das ist ja der Punkt, weshalb Beziehungen und Familien so scheitern, wenn einer kein inneres Wachstum hat. Dann muss der Partner alles liefern können, Liebe, Zuneigung, Sicherheit, alles gleichzeitig und möglichst noch Sex und Versorgung rund um die Uhr mit hedonistischen Ansprüchen und das geht schief.

Also der Punkt ist erstmal, dass man aufhört zu denken, dass der andere verantwortlich sei für das eigene Elend. Das ist eigentlich ein Differenzierungsprozess, der vielen Menschen fast widerspricht. Die sagen, wenn ich verheiratet bin, oder wenn ich eine Familie hab, dann will ich mich doch nicht verändern, dann will ich das kriegen, was ich will. Und das ist natürlich riskant. Vielleicht gelingt es manchmal, dass es ganz harmonische und friedliche Beziehung gibt, aber das ist eben immer die Frage, sehen wir das im Zusammenhang mit Liebe? Ich habe mal formuliert, das war ein Spruch aus meiner revolutionären Jugend, der hing an der Wand eines guten Freundes von mir, mit dem ich wirklich eine tiefe Beziehung hatte, und der hieß „Liebe heißt, sich selbst verändern wollen.“ Das ist schon ein sehr anspruchsvoller Satz. Aber ich glaube, dass das auch ein Schlüssel ist zu ganz vielen Dingen. Und auf eine bizarre Weise hat die Coronakrise uns dazu herausgefordert, uns selbst zu verändern und über uns hinauszuwachsen, über unsere Erwartungen.

Wir erwarten, dass es alles immer weiter geht und immer alles reicher wird und wohlständiger, dass es keine Krisen gibt. Und dann sind wir furchtbar beleidigt, wenn das nicht der Fall ist. 

Dagmar (00:20:38) 

Sie finden in Ihren Büchern immer so einen schönen Brückenschlag zu Geschichten und zitieren hier auch „Solaris“, Stanislaw Lem. Da sagen Sie, wenn man etwas über die Zukunft herausfinden will, braucht’s eigentlich Spiegel. Und das sagt, finde ich, ganz viel aus. Wir verwandeln uns permanent, aber sich dessen bewusst zu sein, dass ich diese Verwandlung aktiv mitgestalten kann und dadurch auch das Außen verwandle, das ist, glaube ich, eine Erkenntnis, die viele leider vielleicht gar nicht haben. Das ist vielleicht so ein bisschen die Frage, dass unsere Familien, die uns zuhören sagen, wie soll ich denn das schaffen? Wie soll ich denn da geistig reinkommen? Ich habe eben nicht den Therapeuten an der Seite, der das mit mir macht… Glaube ich, es ist eigentlich ganz einfach, ich muss es einfach nur tun, oder was ist Ihre Erfahrung – mit dieser Technik der Re-Gnose beispielsweise, also geistig flexibel zu sein und sich neu zu denken – fällt das Menschen schwer, oder ist das etwas, das sogar Spaß machen kann? Sie zitieren ja sogar eine Untersuchung, wo Sie sagen, 60%, also die Mehrheit, will gar nicht mehr zurück zu „vor Corona“, die findet Gefallen daran…

Matthias Horx [00:21:44] 

Ja, es ist gespalten offensichtlich. Also die momentanen Auswertungen von sozioökonomischen Panels und auch die ZEIT-Umfrage, die es vor kurzem gab, „Werden Sie danach anders konsumieren?“, bieten immer dasselbe Bild. Ein erheblicher Anteil von Mensch sagt, sie haben in der Krise Erfahrungen gemacht, die sie auch weiter bringen, die sie verändern und die sie auch beibehalten wollen. Nicht alle, es gibt dann wieder den Gegenteil, der sagt, ich bin eigentlich nur beschädigt worden und ich will, dass das am liebsten gar nicht geschehen wäre. Und so ist es ja auch in unserem Mind, glaube ich, dass wir immer auch so eine beleidigte Form haben. Letzten Endes ist es nur so, wenn man das Gefühl hat, man kann sich selbst nicht spüren, oder man hat diese Selbstwirksamkeit, das ist ja, glaube ich, ein Schlüsselbegriff, in der modernen Welt brauchen wir mehr denn je die Selbstwirksamkeit, weil wir leben in einer individuellen Welt, da brauchen wir Eigenkompetenzen. Und das ist natürlich ein riesiger kultureller Anforderungsstress auf uns. Früher waren die Leute in Rollen und Traditionen gebunden oder in Glaubensformen und die sehnen sich auch immer wieder dahin zurück, wir sehnen uns ja immer noch ins Totalitäre, das sieht man ja am Populismus.

Aber im Grunde genommen sind das immer nur Verhärtungen im Leben, Enttäuschungen, die man nicht hat ent-täuschen lassen, Trauerprozesse, die man nicht getrauert hat, Verbitterung, frühzeitige Veralterung. Und die machen es unmöglich, dass man dieses Gefühl von „ich bin in der Welt und ich bin mit mir“ hat. Manchmal hilft nur eine Krise, die einen durchrüttelt und manche Leute wollen es einfach nicht. „Warum soll ich das auch? Bin ich  blöd? Mir san mir!“ Ich würde es auch gar nicht als Anspruch unbedingt stellen. Es ist halt schade, wenn man in seinem Leben diese Potenziale, sich zu verwandeln ins Zukünftige, dann lebt man natürlich auch oft in einem Universum von Angst, weil dann ist das Leben ja nur von Verlusten geprägt, man verliert dann immer mehr Sicherheiten. Die Sicherheiten kann man ja nicht finden, indem man was festnagelt, den Partner an die Wand nagelt, oder die Kinder zu Hause festnagelt, oder sie über-kontrolliert. Aber das sind dann die typischen neurotischen Reaktionen darauf. Ich glaube nicht, dass man das so einfach als Ratgeber machen kann, das kann man nur zwischenmenschlich spüren. Man braucht, dass man sich seinen Freunden öffnet. Ich habe das so oft erlebt, dass Menschen sich verengt haben und so zukunftlos geworden sind, „ich habe keine Perspektive mehr“, das ist eigentlich eine Depression. Und geöffnet haben sie sich immer nur, wenn sie sich verliebt haben,

ja, es kann sogar sein, in einen Hund, oder in eine Landschaft oder in das Leben halt, oder vor allen Dingen auch mit Freunden. Wir können ja auch nicht immer all das, was wir uns wünschen nur direkt vom Partner kriegen, das ist ja auch eine Überforderung.

Aber sobald man sich öffnet in die Welt, zu anderen Menschen, dann  beginnt das Leben wieder von vorne. Und das mussten wir jetzt tun. Wir konnten nicht mehr andauernd rumdaddeln mit unseren Handys und kurze Botschaften… Die Leute haben noch nie so viel intensiv telefoniert wie da, die langen Telefonate, wo man sich wirklich gegenseitig zuhört, das war ja fast ausgestorben. Man hat sich ja nur immer kleine messages geschrieben, aber das ist wiedergekommen, weil wir eben gespürt haben, wie abhängig wir davon sind. 

Dagmar (00:25:29)

Jetzt nennen Sie Liebe, ich würde fast auch einen Schritt weiter gehen und sagen Begeisterung für irgendwas. Gibt’s denn etwas, das Sie aktuell begeistert, wo Sie sagen, da habe ich jetzt Feuer gefangen, das ist jetzt ein Thema, für das ich mit Leidenschaft brenne?

Matthias Horx [00:25:44] 

Na ja, das ist schon so etwas, dass ich das Gefühl habe, dass in dieser Krise auch Themen, in denen wir ja viele Jahre und Jahrzehnte, also auch ich in meiner Biographie, quasi stecken geblieben sind. Ich kann mich noch erinnern, vor Corona war ja eigentlich nichts möglich. Alle waren in so einem Zustand von Hysterie und Paranoia. Es gab große Demonstrationen in Deutschland wegen des Klimawandels, aber eigentlich haben alle gesagt, das geht gar nicht und wir kriegen da nichts hin. Und plötzlich sind auch auch Sachen möglich. Jeder weiß, dass es eigentlich keine andere Möglichkeit gibt der inneren Orientierung und auch der wirtschaftlichen Orientierung, als auf diese Herausforderung einzugehen. Vorher war die Klimakrise wie so eine Mauer am Horizont. Wo alle gesagt haben, „weiß ich nicht, kann ich nichts mit anfangen“. Jetzt haben wir aber auch sowas erlebt wie so eine Bewältigungs-Erfahrung als Gesellschaft. Wir haben ja die Kurve abgeflacht des Virus’, also jedenfalls in Deutschland, in Österreich und in vielen kleinen Ländern, in denen eben besonnen gehandelt wurde, übrigens auch oft von Frauen geführt.

Und das setzt so Energien frei, es lockern sich plötzlich Dinge, auch ins Schreckliche. Ich glaube, Amerika rutscht wirklich in so eine ganz tiefe Katharsis. Amerika muss sich neu erfinden. 

Und so ist es auch oft mit Paaren, mit Familien, die müssen sich neu erfinden. Aber dass das so möglich ist, fasziniert mich, weil ich manchmal auch schon unendlich genervt war, dass nichts voranging. Dass diese Echos in der Gesellschaft doch möglich sind. Und plötzlich haben alle Leute einen anderen Gesichtsausdruck und finden, die Vögel zwitschern anders. Dass im Schlechten auch so viel Gutes schlummern kann. Natürlich ist das nicht automatisch da und viele Menschen haben das nicht erfahren. Ich treffe auch ganz viele schlecht Gelaunte, die mir vorwerfen, ich sei ja optimistisch. Der heutige Vorwurf ist ja immer „Sie sind Optimist, wie können Sie nur! Wie können Sie sich nur nicht mit meinem Pessimismus identifizieren!“ So weit sind wir schon. Aber jetzt hat sich da schon was geändert. Also ich bin Feuer und Flamme, ich lese so viel und denke so viel und erkenne so viel wie noch nie. Das war so meine Re-Gnose in dieser Krise. Und natürlich mit der Familie wieder näher zusammen zu sein, das ist schon auch toll.

Carolin (00:28:32)

Welches Rüstzeug halten Sie denn für das wichtigste, das

Kinder und Jugendliche brauchen, um gut in die Zukunft gehen zu können? Sie haben ja gerade schon von Offenheit gesprochen, von Veränderungswille – was ist die Grundsubstanz davon?

Matthias Horx [00:28:49] 

Das ist, glaube ich, ganz einfach zu benennen: Bejahung. 

Der Mensch ist eben ein Wesen, das unfertig geboren wird und das unfassbar sozial und gleichzeitig unfassbar individuell ist.

Und diese Dualität des Menschen drückt sich in der Familie aus.

In der Familie sind alle eigentlich extreme Einzelwesen. Das ist ja irre, wie unterschiedlich Menschen gerade in der Familie sich ausformen, gerade weil sie es können, weil sie eben diese Gebundenheit haben. Also Bejahung ist der entscheidende Punkt. Und bejahen kann man aber einen Menschen nur, wenn man sich selbst bejaht. Wenn man sich selbst aus seinen Traumata und seinen Verwerfungen befreit, sonst wird man neurotisch. Wir haben ja eine große Tendenz in der Familienpädagogik oder in der allgemeinen Pädagogik, deshalb bin ich auch immer so vorsichtig mit Ratschlägen, weil die haben manchmal so viralen Charakter. Wenn wir uns dieses ganze ‚helicopter parenting‘ heute anschauen,

also diese Überbevormundung und Überbehütung, die narzisstische Züge annimmt, das Kind als Projekt, der eigenen Sinnstiftung, weil man irgendwie das Gefühl hat, das Leben sonst zu verfehlen, das ist schon sehr bedenklich. Deshalb braucht man natürlich auch so eine innere Stabilität, wenn man seine Kinder nicht überfordern will wieder in die andere Richtung, die Überbehütung.

Also wir haben mit unseren Kindern immer versucht, so etwas wie wohlwollende Vernachlässigung zu praktizieren. Wir haben immer beobachtet und „wie geht’s euch denn“ und „macht mal“…

Und wenn die mal auf die Nase gefallen sind, dann war das eben so.

Da steht eben viel Weisheit drin. Aber wir haben natürlich in unserer Familie auch etwas erlebt, was fast alle in unserer Kultur erleben, nämlich, dass man eigentlich, um Kinder zu erziehen ein Dorf braucht. Und in einem Dorf kann man die Kinder eben auch mal lassen. Auch diese Gleichaltrigen-Rudel, die es früher gab, das hat schon auch etwas sehr Seelenreiches. Es gibt ja jetzt auch wieder einen Trend für Ältere, wieder in Wohngemeinschaften zu ziehen. Ich glaube, wir müssen auch noch mal unsere ganzen Lebensformen überprüfen. Ich war gerade in so einem Co-living Projekt in Zürich mit 2.500 Bewohnern und habe da ein paar Tage verbracht. Das war sehr interessant, wie sich da Sozialstrukturen wieder wie in Dörfern entwickeln, wo die Älteren auch mal auf die Kinder aufpassen und die Nachbarfamilie… Diese Einzelerziehung ist es halt nicht. Wir sind tribale Wesen, wir sind immer organisiert in genetischen Gruppen, die aber wiederum Teil eines Stammes sind. Das müssen wir auch in der modernen Welt wieder abbilden auf eine moderne Form.

Dagmar [00:32:04] 

Aber wenn Sie jetzt gedanklich rückblicken auf die Kinder, die jetzt in dieser Corona-Zeit groß werden – die werden erwachsen. Werden die bestimmte Merkmale haben, die aus dieser Corona-Zeit heraus erwachsen sind und welche Chancen haben wir jetzt, diese Kompetenzen und Merkmale als Eltern zu stärken?

Matthias Horx[00:32:25] 

Ich glaube, dass ein paar Übersteigerungen, die in den letzten Jahren so entstanden sind, gesellschaftliche Hysterisierungen, das fängt ja beim Populismus an und hört bei den Hysterisierungen von Familien, Über-Ansprüchen nicht auf, also diese nervöse Erwartung dass alles immer sich steigern muss und gleichzeitig aber natürlich die Ahnung, dass das schief gehen muss. Und der Virus hat ja wirklich so gesagt „also jetzt mal Schluss“. Das war so ein Signal am Horizont. Und da, wo die Familie gut reagiert haben, und das haben sie ja überwiegend, da ist im Grunde auch Bewältigung entstanden. Das kann uns vielleicht so ein bisschen auf den Teppich holen. Die Hoffnung wäre, dass eine etwas realistischere Generation dadurch entstehen könnte, die jetzt nicht alle Übersteigerungen, die wir immer im Leben so mit uns rumschleppen, perpetuieren. Das ist vielleicht auch ein bisschen Nüchternheit… Es gibt schon auch einen Hang zu großflächigen narzisstischen Krankheiten, das ist schon so.

Und wenn man das erlebt hat, und zwar wirklich erlebt hat, dann bringt das einen ein bisschen davon ab, wer man ist. Mann muss eben enttäuscht sein, dass man nicht immer in die Disco gehen kann und alles noch weiter steigern kann und auch nicht noch mehr fliegen kann und noch mehr Party und noch, noch, noch… dieses Zuviel. Das ist irgendwie gesellschaftlich gebrochen. Ich glaube, das kommt auch so nicht wieder. Also, es kommt natürlich immer als Dekadenz in irgendwelchen Taschen wieder. Das sieht man ja in Mallorca oder so, es werden immer wieder Leute extreme Formen von Hedonismus ausüben. Aber das prägt vielleicht nicht mehr so die Gesellschaft wie früher. Also Nüchternheit…

Generationstheorie ist eh wahnsinnig schwierig, weil die Unterschiede innerhalb der Alterskohorten sind viel größer heute. Es gibt so unendlich viel vergreiste 18-Jährige und so viele ganz junge 80-Jährige, dass das immer ganz schwierig wird. Aber bestimmte kollektive Erfahrungen setzen sich natürlich leichter in Krisen durch. Eine Nackriegsgeneration konnte man noch definieren, auch halbwegs eine Revolte-Generation in den 60er 70er Jahren, zu der ich gehöre. Da sagt man ja 68er dazu, aber ich bin dafür eigentlich zu jung. Da konnte man’s noch so ein bisschen… Aber heute ist wahrscheinlich schwierig. Ich kann mir sogar vorstellen, dass der intergenerative Zusammenhang in dieser Krise eher gewachsen ist. Es ist ja auch ein neuer sozialer Kontrakt entstanden. Vorher war es ja so, dass die Jüngeren, oder ein Teil der Jüngeren gesagt hat „Liebe Ältere, wir laufen hier auf ein Problem zu mit unseren Lebensformen.“ SUV fahren und immer weiter in Urlaub fliegen und immer mehr Fleisch essen und so weiter. Das war ein Teil der urbanen Jugend, kann man vielleicht sagen. Und die ältere hat eher geantwortet über ihre politischen Sprachrohre und über ihre Diskursmacht „Ja geht leider nicht, weil dann würden wir die Wirtschaft beschädigen. Das kann gar nicht sein, wir können nicht weniger Autofahren…“ Jetzt haben die Jüngeren aber durch eigene Verhaltensänderungen älteren, schwache, Menschen vielleicht dabei geholfen zu überleben.

Was heißt denn das für die Zukunft? Das ist ja vielleicht auch etwas, das dann eingelöst werden müsste? Vielleicht aber auch in einer gemeinsamen Anstrengung. Das ist glaube ich so… So kann man momentan Generationsströmungen abbilden. Plötzlich war es möglich über Nacht, die Wirtschaft quasi abzuschalten. Und vorher hatten wir gedacht, wenn die Wirtschaft einmal behindert wird, dann stürzt sie sofort ab und wir sterben alle. Das war ja so dieses ökonomistische Bild der Gesellschaft. Jetzt machen wir eine ganz andere Erfahrung, wir sind zwar mitten in einer Wirtschaftskrise, aber wir sind immer noch nicht gestorben. Und es ist manchmal wahnsinnig schwer für manche Menschen und ist manchmal schrecklich, aber es gibt auch eine Freisetzung von Kreativität, von Neuanfängen von Verschiebungen, von allem möglichen. Die Resilienz wird erhöht. 

Dagmar (00:36:48)

Und das finde ich das Spannende, weil zu Beginn der Krise ganz viele Psychologen, Psychiater Alarm geschlagen haben und prognostiziert haben, es wird einen signifikanten Anstieg an Angststörungen bei Kindern geben. Die Beobachtung in der Praxis zeigt jetzt aber, dass die Kinder nach vielleicht kurzem Schock, weil sie ihre Eltern verunsichert sehen, relativ stark mit dieser ganzen Geschichte umgehen und Angst gar nicht mehr, wie erwartet, so eine große Rolle spielt. Ist das etwas, das Sie auch beobachten?

Matthias Horx [00:37:17] 

Ja, weil Angst richtet sich ja in der verselbständigten Form immer nur gegen Befürchtungen der Abstraktion, also, es könnte was kommen. Und wenn dieses Monster, was nicht sichtbar ist, wenn die reale Situation eintritt, sind Menschen eigentlich immer ganz gut darin zu kämpfen oder sich darauf einzustellen, sich zu adaptieren.

Ich glaube, wir sind eher in so einem Gespensterwald unterwegs in der modernen Gesellschaft. Wir treiben unentwegt Befürchtungen durch unsere Kultur, Steigerungen, Hysterien, das mediale System, das uns umgibt, ist ja extrem erregungsorientiert.

Das macht die Leute verrückt und deshalb kann so ein Stillstand plötzlich sogar zur Beruhigung führen. Es ist paradox, aber so ist es in der Tat. Angst ist ja gewissermaßen immer auf das Unknown gerichtet, Angst baut sich ja dann ab, wenn ich weiß, es ist ein Säbelzahntiger und jetzt muss ich entweder rennen oder sterben oder kämpfen. Angst ist ja eigentlich ein Realitätsbringer, aber in der modernen medialen Gesellschaft ist Angst zu einem Geflecht geworden, das ist dann eher Verängstigung. So kann man das glaub ich ausdrücken. Wenn man neuropsychologisch mal die Funktion der Angst sieht, ist es ja eine Wachmachung und Kinder können das eigentlich ganz gut.

Dagmar [00:38:43] 

Und das wird vielleicht spannend, weil Angst weckt ja diese zwei Systeme Angriff oder Flucht, aber der „Gegner“ bleibt ja so unsichtbar und nicht vorhersehbar. Alle möglichen Szenarien werden ja schon wieder diskutiert – wie geht’s weiter vom kompletten Lockdown zu „wir machen so weiter wie bisher und haben einen Impfstoff“ – das pendelt ja immer so hin und her, da hat man immer das Gefühl, es gibt Bewegung und Gegenbewegung, wir haben Mut, dann haben wir wieder Angst. Und Kinder scheinen da, weil viele Eltern jetzt vielleicht Angst haben „wird mein Kind Schaden davontragen, wird das für mein Kind nachhaltig belastend sein“ – Kinder scheinen aber recht stabil damit umgehen zu können.

Matthias Horx [00:39:36] 

Ja, oder andersherum unstabil, positiv unstabil, weil Wirklichkeit ist das, worin ich wirken kann, die Wirklichkeit ist das, wozu ich mich in irgendeiner Form verhalten kann. Bei Kindern sind natürlich die neuronalen Muster noch offener. Sie haben auch eine eine Art Kompensations-Erfahrung gemacht. Ich habe das in den Familien, mit denen ich so umgehe, mit kleinen Kindern von 2 bis 12 immer erlebt, da sind die Kinder ja unfassbar dankbar, wenn die Eltern mal konzentriert da sein müssen. Unser Leben ist ja so ein ein Kämpfen um Aufmerksamkeit geworden. Das erzeugt natürlich wiederum eine neue Sicherheit, also, der Papa kann gar nicht anders als von früh bis abends basteln. Das habe ich mir immer von meinem Vater gewünscht, der war immer nie da, das kennen ja viele. Insofern gibt’s da auch wieder Vergewisserungen und dann bin ich in einer Wirklichkeit, mit der ich eigentlich umgehen kann, die auch überschaubarer ist. Und so fügt sich das zusammen, dass die Kinder eben diese innere Flexibilität vielleicht mehr haben.

Und ich meine, man muss auch sagen, wir haben ja in gewissem Sinne in diesen ganzen Schrecklichkeiten auch Glück gehabt, weil es ist ja keine Apokalypse wie, wenn man mal in eine wirkliche Naturkatastrophe gerät, oder in einen Krieg, dann weiß man, was es da noch für Unterschiede gibt. Mein Sohn Tristan, der ist ein ganz begabter Zukunftsforscher auch, mein Nachfolger, der hat es mal einen Non-Kalypse oder Un-Kalypse genannt, es fühlt sich an wie eine Apokalypse, ist aber gar keine.

Das ist natürlich ein bisschen zynisch, wenn man weiß, dass Menschen gestorben sind, aber es ist nicht zynisch gemeint, sondern Krise hat ja viele verschiedene Gestalten und sie kann auch vernichtend sein.

Carolin [00:41:33] 

Ich würde ganz gern, um den Bogen noch mal zu den unterschiedlichen Zukunftsbildern, die wir alle so haben zurück zu spannen, auf Ihre Technik der Re-Gnose zurückkommen. Sie haben jetzt die Re-Gnose für die Corona-Zeit gemacht. Denken Sie, es ist auch sinnvoll, eine ganz persönliche Re-Gnose zu ziehen für jeden, dass man sich einmal in diese Perspektive der Re-Gnose versetzt und sich seine Zukunft so ausmalen kann in einem realistischeren oder vielleicht sogar positiveren Sinne, als immer nur von diesen prognostischen Angstbildern auszugehen?

Matthias Horx [00:42:07] 

Na ja, das ist in der Psychologie auch eine Technik, die eingesetzt wird. Wir setzen das immer auch in der Arbeit mit Unternehmen ein. Mein Zukunftsinstitut arbeitet ja vor allem in der Visionsentwicklung für Unternehmen, da macht man genau das, man versetzt sich in die Zukunft. Und wenn man das als Prognose sieht, geht es immer schief. Dann fangen die Firmen immer an „Ah, interessant, Sie können uns also beweisen, dass es in zehn Jahren so und so aussehen wird, dann können wir jetzt so eine Art Planwirtschaft betreiben“. Das ist nicht der Sinn davon, sondern

wenn man sich in die Zukunft versetzt, ist es wichtig, dass man  wie Hermes, der Götterbote den Kopf dreht und sich selbst im Heute beobachtet und sich fragt, wie kann ich mich verändern, wie kann ich wachsen, wie kann ich in die Zukunft hineinwachsen? Das ist die Intention dabei. Und das heißt, ich trete in eine Beziehung mit meiner Zukunft. Das kann sehr verblüffend sein, weil viele Menschen ihre Zukunft verloren haben, die Gesellschaft ja auch oft. Viele Menschen haben keine Vorstellung mehr von „wo möchte ich eigentlich hin, wohin möchte ich wachsen?“ Man darf das nicht zu sehr festlegen, es ist eben eine Traumreise. Also diese Idee, ich setze mich in einem Jahr auf den Markusplatz in Venedig und schaue, wie haben sich die Menschen verändert, wie hat sich Europa verändert, ist da schon wieder ein Kreuzfahrtschiff am Pier, von dem 3.000 Leute runter kommen, wie viele Flugzeuge fliegen am Himmel, wo sind eigentlich die Tauben hin und die Touristen?

Das ist ist der Anfang und dann drehe ich mich quasi um und schaue zurück in mein heutiges Ich, in meine Verängstigung, was ist aus mir geworden, was habe ich gelernt? Und das ist das, was einem so eine Leichtigkeit geben kann, weil dann vergegenwärtigt man sich in der Zukunft. Man muss natürlich wissen, dass man damit nicht die Zukunft prophezeit, sondern dass man eine Projektion macht, aber das kann eben sehr befreiend für den Kopf wirken, weil man dadurch an seine tieferen Instinkte rankommen. Ich glaube, wir alle haben eigentlich einen ganz guten Zukunftsinstinkt, aber der wird uns eben zugeschüttet mit Informationen, mit allen möglichen Vermutungen. Aber im Grunde genommen, wenn wir unseren Zukunftsinstinkt verlieren, dann wird die Zukunft überwölbend, sie kommt eben auf uns zu. Die Idee ist, dass wir uns auf die Zukunft zu bewegen. Weil wir können ja viel, wie Sie richtig sagten, wir können viel gestalten, vor allen Dingen in der Familie, in unseren Beziehungen. Viele Menschen sagen aber „Ja, aber das ist ja so klein“. Dabei haben wir jetzt aber auch erlebt in der Corona-Zeit, das Kleine ist auch die große Welt. Durch Veränderung unseres Verhaltens haben wir auch im Großen etwas bewirkt, haben andere Menschen beschützt. Und dadurch entsteht wieder eine Vergesellschaftung, wenn man so will, von Selbst-Erleben. Diese Verbindung herzustellen, das Kleine im Großen zu spiegeln, deshalb ist ja die Frage „wird sich etwas ändern durch Corona“ nicht wirklich beantwortbar, weil da kann man eigentlich immer nur zurückgeben „Es kommt darauf an, ob wir es wahrnehmen, jeder einzelne.“ Wie viele tun das, wahrnehmen, aber das einzige was ich tun kann ist eben, dazu auffordern es wahrzunehmen, dazu anregen.

Es gibt ja diesen berühmten Satz auch aus der Psychologie „Ein kluger Psychologe macht seinen Klienten immer klar, dass er eigentlich nichts tun kann“, sondern nur der Patient selbst. Das ist schon ganz richtig, glaube ich, da muss man nicht Watzlawick gelesen haben, um das zu verstehen.

Dagmar [00:45:57] 

Und ihre Technik ist ja auch so ein Trick in der Therapie. Manchen Menschen fällt’s ja wahnsinnig schwer, gedanklich aus ihrem altbewährten Muster auszubrechen, ihr festgefahrenes Leben geben sie als gegeben an. Und was diese Re-Gnose bewirkt ist, dass ich so eine Distanzierung schaffen kann. Ich kann das vorwegnehmen, die Frage „was wird sich aus der Krise ändern“ kann man umwandeln in „was würdest du denn gern ändern?“ Wenn du in einem Jahr zurück blickst, welche Geschichte würdest du denn gern erzählen?

Als wer willst du denn da am Markusplatz sitzen? „Ja, keine Ahnung, zumindest möchte ich als Nichtraucher da sitzen“, dann schau jetzt mal zurück auf das Jahr, wie du es geschafft hast, Nichtraucher zu werden… Also, ich komme geistig in die Situation, von der ich momentan im Leben nicht denke, dass ich da sein könnte, dass ich da hin könnte und rückwirkend ist alles möglich. 

Matthias Horx (00:46:51)

Genau. Eigentlich versucht man durch so eine Technik, die Viskosität, die Flexibilität des Gehirns wieder in Gang zu setzen.

Das ist das, was bei vielen Menschen eben nicht mehr so gut funktioniert, wenn sie sich in etwas verrannt haben in Konstrukte der Welt, in Selbstabwertung. Und da kommt dann das berühmte

Wort, die Selbstwirksamkeit. Das setzt voraus, dass man sich beim Beobachten beobachten kann. Das ist eigentlich der Kern von Bewusstsein. Bewusstsein heißt, sich beim Beobachten beobachten. Das ist ja die große Gabe, die die Evolution uns Menschen gegeben hat und es wäre ja schade, wenn wir diese Gabe… also verschwenden sollten wir sie schon – ich meine, wenn wir sie verkümmern lassen.

Carolin [00:47:37] 

Das war jetzt eine sehr, sehr schöne Einladung zum Perspektivenwechsel, eine schöne Einladung, mal eine Re-Gnose zu machen und dabei den eigenen inneren Wandel nicht außen vor zu lassen. Vielen Dank dafür. Und wer noch mehr von der Re-Gnose zur Zukunft nach Corona lesen möchte, der schaut am besten mal in Matthias Horx’ aktuelles Buch, das Ende Mai erschienen ist, „Die Zukunft nach Corona – wie eine Krise die Gesellschaft, unser Denken und unser Handeln verändert“. Und wir können auch übrigens sehr empfehlen das Buch davor: „15 1/2 Regeln für die Zukunft -Anleitung zum visionären Leben“. Da steckt vieles drin von dem, was wir auch heute anreißen und besprechen konnten. 

Ganz herzlichen Dank, Herr Horx! 

Matthias Horx 

Ja, ich danke Ihnen auch herzlich.

Carolin [00:48:21] 

Dagmar, was mir jetzt besonders Spaß gemacht hat an diesem Gespräch, dass ich mich so wahnsinnig bestätigt darin gefühlt habe, was wir machen was ‚Ganz schön Familie‘ ist, ging dir das auch so?

Dagmar [00:48:31] 

Ja, noch mal von so jemandem wie Herrn Horx zu hören, wie wichtig Familie ist, dieser Ort, der uns Halt gibt, der uns ermöglicht, uns neu zu erfinden, der uns ermöglicht zu reframen und umzudeuten, in dem ganz viel Liebe ist, Liebe für die Dinge, Begeisterung, Liebe zu Obstbäumen… – also, ich fühle mich bestätigt in dem was wir machen und ich habe wirklich Lust, genauso weiterzumachen.

Carolin [00:48:56] 

Und ich hoffe ihr, liebe Hörerinnen und Hörer, auch! Ihr könnt uns folgen auf Facebook und Instagram mit aktuellen Posts und natürlich auch unsere Podcastfolgen hören auf Spotify und allen anderen Podcast-Kanälen. Wir freuen uns, wenn ihr dabei bleibt! Auf www.ganzschoenfamilie.de könnt ihr auch noch einmal nachlesen, was ‚Ganz schön Familie‘ alles ist. 

Wir freuen uns aufs nächste Mal, ciao Dagmar, vielen Dank.

[00:49:20] Music.